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Der Baum des Lebens und
die Spiegelung des Selbst

"Dem Baume gleich, dem Fürsten des Waldes,
gewiss, ihm gleich ist der Mensch.
Seine Haare entsprechen den Blättern,
der Außenrinde gleicht die Haut.
Wie aus der Rinde des Baumes der Saft,
aus dem Verwundeten fließt Blut,
wie Saft aus einem Baum, den man verletzte.
Dem Holze vergleichbar ist das Fleisch,
so wie dem Bast die starke Sehne.
Die Knochen sind das Innenholz,
das Mark vergleicht dem Marke sich."
(aus den Upanishaden)

Bäume sind hervorragende symbolische Formen, die den Menschen als Spiegel dienen. Die Spiegelung als bildhafte Projektion der eigenen Persönlichkeit hat den Sinn, sich im projizierten Bild zu beobachten, um das eigene Leben besser steuern und mit Sinn füllen zu können. Die Bildkraft der Bäume erschöpft sich nicht in einem speziellen Bereich unseres Daseins. Vielmehr können wir in den lebenden Bäumen und in symbolischen Darstellungen von Bäumen, sowie in Baumriten und Symbolbäumen Beziehungen zu verschiedenen Ebenen unseres Seins herstellen. Vergleicht man Bäume und Menschen und versucht man Parallelen, Ähnlichkeiten, wechselseitige Beziehungen und Abhängigkeiten herauszuarbeiten, so ist das Ergebnis ein dichtes Gemisch aus biologischen, seelischen, geistigen, spirituellen, historischen und sozial-kulturellen Zusammenhängen, die sich nur künstlich voneinander trennen lassen. Der Baum als Lebewesen übernimmt in dieser Form seit Urzeiten die Rolle eines hoch differenzierten und universalen Symbols, in dem Menschen sich in unterschiedlichsten Lebenslagen und Bewusstseinsstufen wiederfinden. Zu der Frage, wie diese Selbstspiegelung im Baum genau funktioniert und unter welchen Voraussetzungen sie steht, finden sich in der Literatur zahlreiche Hinweise und Ausführungen, die allesamt erkennen lassen, dass in der Regel die körperliche Erfahrung lebender Bäume mit kulturell tradierten Vorstellungen ihrer Bedeutung und archetypischen seelischen Mustern zusammengehen.

Gestalt und körperlicher Ausdruck

Menschen stehen offensichtlich in einer ganz ursprünglichen Verbindung zu Bäumen. Das zeigt sich z. B. menschheitsgeschichtlich in den Darstellungen von Baumsymbolen in frühen Höhlenzeichnungen, lebensgeschichtlich im häufigen Vorkommen des Baummotivs in Kinderzeichnungen, mythologisch in den kulturgeschichtlich zahlreichen Erzählungen zur Erklärung der Welt (Weltbaum) und des Lebens der Menschen (Lebensbaum), volkstümlich an vielen Bräuchen und Riten in allen Teilen der Welt, die sich um Bäume und deren Symbolik drehen, etwa in dem besonders plastischen Brauch, anlässlich der Geburt eines Kindes einen Baum zu pflanzen, der dieses Kind zu Lebzeiten begleiten möge. Die Bevorzugung des Baum-Zeichens zur Veranschaulichung sinnhafter Lebensprozesse, die sich zwischen inneren und äußeren Welten, zwischen physischer 274 und geistiger Existenz abspielen, setzt auch an der äußeren Gestalt der Bäume an, und an beobachteten oder vermuteten Ähnlichkeiten in der Körperlichkeit von Baum und Mensch. Nüchtern betrachtet liegen die Differenzen der beiden Lebensformen auf der Hand: Bäume sind fest verwurzelt und verbleiben stets in ihrer Art und ihrem jeweiligen ökologischen Umfeld. Menschen dagegen sind in gewissen Grenzen zu räumlicher, sozialer und kultureller Weiterentwicklung fähig. Die Strukturähnlichkeit der Gestalt aber ist unverkennbar. Sie erlaubt es Menschen, sich im Bild des Baumes als abstraktes Zeichen zu betrachten, nämlich als lebendige Einheit von Wurzel, Stamm und Krone. So wie der Baum in der Erde wurzelt, steht der Mensch mit den Füßen auf der Erde. So wie der Baum sich senkrecht gen Himmel aufrichtet, steht und geht der Mensch mit aufgerichteter Wirbelsäule. Und so wie der Baum seine Kopfkrone in den Luftraum ausbreitet und nach oben wächst, so erschließt sich der Mensch den ihn umgebenden Raum mit Hilfe der ausgreifenden Arme. Es ist dieses Stehen zwischen Himmel und Erde, welches Menschen und Bäume auf körperlicher Ebene verbindet. In Mythos, Dichtung und Kunst drückt sich dies in der Vermenschlichung von Bäumen und umgekehrt in der »Verbäumlichung« von Menschen aus. In der Sprache der Alltagskommunikation sind verschiedene Ausdrücke gebräuchlich, die ebenfalls an genau dieser Gleichartigkeit ansetzen: »Ein Mann wie ein Baum«, in einer sozialen Gruppe »verwurzelt sein«, »aus gleichem oder anderem Holz (geschnitzt) sein«. Darin zeigt sich, dass die körperliche Spiegelung im Baum mehr oder weniger bewusst praktiziert wird und den Baum damit zu einem selbstverständlichen Ursymbol für den Menschen macht.

Hildegard Marcus trifft in ihrem Buch »Baum und Mensch. Lebenssymbole zwischen Natur, Gestalt und Geist« bezüglich der Gestaltsymbolik »Baum-Mensch« genaue Unterscheidungen. Nach ihrer Auffassung bilden Wurzel, Stamm und Krone einen Zusammenhang, der nur als Einheit lebensfähig ist. Alle Drei brauchen einander: Die Wurzel das Sonnenlicht aus dem Fächer der Krone, die Krone die Energien aus der Tiefe des Wurzelstocks. Der Stamm verbindet die beiden ähnlich geformten Verzweigungen. In der Wahrnehmung von Bäumen und in der Selbstspiegelung des Menschen im Baum kommt vor allem dessen abstrakte Gestalt ins Spiel, denn im Erkennen der Gestalt des Baumes verbinden sich Natur und Geist, der Baum verweist über sein materielles Sein hinaus auf etwas Geistiges. Eben dies macht ihn zum Symbol auch des menschlichen Lebens. Jedes der drei Elemente der Gestalt ist mit Bedeutungen belegt, die die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede von Menschen und Bäumen markieren.

So steht der Wurzelbereich für die Seele, das Gefühl und die Sensibilität. Für die weibliche, dunkle, mütterlich-nährende Qualität. Hinter oder unterhalb der äußerlich sichtbaren Wirklichkeit steht das Geheimnis, das nicht vollständig Rekonstruierbare, welches das Wesen, die wesenhafte Herkunft und den kreativen Keim des Individuums birgt. Das Bewusstsein, die Erinnerung der Wurzeln, Hintergründe und dunklen Bereiche wird häufig als Voraussetzung für die Weiterentwicklung des individuellen Lebens, aber auch des menschlichen Lebens schlechthin gesehen. An dieser Vorstellung setzen die Forschungen verschiedener Wissenschaften an, von der Evolutionstheorie und Archäologie über die Geschichtswissenschaft bis hin zur Psychologie. Hierauf beziehen sich auch alle spirituellen 276 Lehren, die in der Regel die Erforschung der Wurzeln als wichtiges Element auf dem Weg zu einer ursprünglich vorhandenen, im individuellen Leben aber verloren gegangenen spirituellen Einheit sehen. Die eigenen Wurzeln, welche u. a. in soziale, geographische, kulturelle, politische, moralische, spirituelle unterschieden werden können, sind so gesehen Plattformen für Expeditionen ins Leben oder Quellen für ganz unterschiedliche Lebensexperimente. Das Bewusstsein des (mütterlichen, tiefen, dunklen) Ursprungs ist für den Menschen ebenso wichtig wie das Bewusstsein des Erwachsen-Werdens, Wachsens, Sich-Veränderns. Es ist Nährstoff und inhaltliche Vorgabe zugleich für neue Wege.

Der Baumstamm bildet das stabile Gerüst und den Kanal für das gegenläufige Strömen von Wasser (von unten nach oben) und Nährstoffen (von oben nach unten). Er symbolisiert die Grundausrichtung natürlich wachsenden Lebens, den Verbindungskanal zwischen »dunklem« Wurzelbereich und »lichter« Krone, die schmale Energiebahn zwischen den ausladenden Bereichen der Wurzel und der Krone. Auch hier eröffnet der Vergleich viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das statische Gerüst des Menschen bildet die Wirbelsäule, mit dem Rückenmark als Lebenskanal zwischen Beckenregion und Kopf, Voraussetzung für die Steuerung wichtiger Körperfunktionen über das Gehirn. Wirbelsäule wie Stamm geben dem Lebewesen seine Stabilität und charakteristische vertikale Ausrichtung. Sie sind aber auch Voraussetzung des Wachstums. Physisches Wachstum geschieht von unten nach oben, sowie von innen nach außen, auch dies eine Parallele. Aber es gibt auch Unterschiede: Für den Stamm gilt die Kegelsymmetrie, während die Spiegelsymmetrie, welche den menschlichen Körperaufbau charakterisiert, bei Bäumen nur in den Blättern und teilweise in den Ästen eine Entsprechung findet. Die meisten Bäume zeigen ein schubförmiges vertikales Wachstumsverhalten, das auf einen Zeitraum von zwei Wochen bis zwei Monaten im Jahr, je nach Art, beschränkt ist, es endet meist nach 10% der Gesamtlebenserwartung eines Baumes. Das Breitenwachstum dagegen findet bis zu einem gewissen Alter kontinuierlich statt, es verlangsamt sich dann aber, wenn der Baum sein Wachstum einstellt und irgendwann tatsächlich abstirbt, meist durch innere Fäulnis. Solche Differenzen tun der symbolischen Stärke der Bäume jedoch keinen Abbruch, entscheidend ist der Eindruck und die Ausstrahlung, wie wir sie mit den Sinnen, v. a. dem Augensinn wahrnehmen. Und so hängt unsere Vorstellung von einem Baum und gleichermaßen von einem Menschen wesentlich vom Eindruck des aufrechten Stehens ab. Ebenso wie die Lot-Balance bei beiden zusätzliche Aufrichtungs- und Lebensenergien vermittelt, werden Abweichungen automatisch als Störungen des Gleichgewichts, als Anzeichen von Krankheit oder als Zeichen besonderer Umwelteinflüsse gedeutet. So kann ein Baum, der permanent heftigen Winden aus einer bestimmten Himmelsrichtung ausgesetzt ist, diesem Einfluss nachgeben und seinen Stamm und die Kronenäste stromlinienförmig der Windrichtung anpassen. Und so wird ein Baum, der nur von einer Richtung Licht erhält, seinen Wuchs eben dieser Richtung anpassen, auch wenn damit eine Verdrehung oder Biegung des Stammes verbunden sein mag. Beobachtet ein Mensch solche Wuchsformen, so projiziert er sich als Körperwesen sogleich in den Baum hinein, es entsteht automatisch eine Form der Empathie – eine Erklärung für die starke Rolle der Bäume als Lebenssymbole. »So«, denkt sich der Mensch, »wie dieser Baum sein Wachstum den Umwelteinflüssen angepasst hat, um weiter leben und sich in seiner Individualität entwickeln zu können, so bin auch ich ständig zu Anpassungen gezwungen, um zu einem für mich stimmigen Gleichgewicht zu kommen.« Diese Symbolkraft wird sehr häufig für künstlerische Zwecke genutzt. Die allegorische Abbildung von Bäumen in bildhaften Darstellungen der Malerei, Zeichnung, der Bildhauerei und des Films ist allgegenwärtig und hat trotz ihrer langen Geschichte bis heute nichts an Unmittelbarkeit und Deutlichkeit eingebüßt.

Der Vergleich zwischen der Krone und dem menschlichen Kopfbereich scheint auf den ersten Blick eher gewagt. Unter der Oberfläche betrachtet sind demgegenüber ganz interessante Ähnlichkeiten feststellbar. So stellt das Gehirn eine extrem verästelte Struktur von Nervenfasern dar, die in der Mikrostruktur einzelner Nervenzellen ihre Entsprechung finden. Die Nervenzelle als ganze betrachtet spiegelt zudem eine komplette Baumstruktur: Die Synapsen entsprechen den Wurzeln, das ummantelte Axon dem Stamm mit der Rinde, die Dendriten sind der Kronen- und Aststruktur vergleichbar. Letzterer Fachterminus ist ja auch vom altgriechischen to dendron (Baum) abgeleitet. Bäume und ihre Bestandteile sind entsprechend im menschlichen Körper auf physiologischer Ebene ständig präsent und erfüllen dort wichtige Aufgaben der Übertragung von Energie. Die gewachsene Einheit von Wurzel, Stamm und Krone kann nur als Ganzes ihre Funktionen erfüllen. Dabei ist auffallend die formale Ähnlichkeit zwischen den Polen Wurzel und Krone, die den Baum zur Leitung werden lässt: Energie wird aufgenommen, weitergeleitet und in einen veränderten Zustand transformiert. Und genau darum scheint es bei den Bäumen und ihren symbolischen Entsprechungen primär zu gehen: um den Austausch- und Spannungsprozess zwischen polaren Gegenwelten: Wurzel-Krone, Fühlen-Denken, Körper-Geist. Diese Spannungen sind bestimmend für den Lauf und die Entwicklung des Lebens zwischen Himmel und Erde. Beide Pole müssen für ein gesundes Wachstum in kontrollierte Beziehung zueinander gesetzt werden. Kein Pol kommt ohne den anderen aus.

Verwandtschaft lebendiger Wesen

Aus Märchen, Erzählungen, esoterischer Literatur, der abbildenden und tänzerischen Kunst kennen wir sie: die vielgestaltigen Naturwesen, unter denen die Elfen, Feen und Zwerge sicherlich die bekanntesten darstellen. In den Texten, aber auch in bildlichen Illustrationen und schauspielerischen Darstellungen wird ihre Gestalt plastisch. Und obwohl die meisten Menschen in realiter noch nie ein Naturwesen wirklich gesehen haben, glauben doch viele zu wissen, wie solche Wesen aussehen. Dass die Vorstellung der Wesen aus dem Reich der Pflanzen häufig menschengestaltig ist, zeigen nicht nur diese künstlerischen Konstrukte, sondern auch die unzähligen Schilderungen von Menschen, denen es vergönnt war, Naturgeistern zu begegnen. So hat etwa die englische Elfen-Forscherin Marjorie Johnson (Naturgeister. Wahre Erlebnisse mit Elfen und Zwergen) über sechzig Jahre lang Erfahrungsberichte aus aller Welt gesammelt, die ein weites und verblüffendes Spektrum unterschiedlichster Naturgeister offenbaren. Nicht immer, aber häufig, kommen die Beschreibungen den teilweise aus Kindertagen bekannten Märchenbuchdarstellungen nahe, die Wesen mit menschlicher Gestalt, aber 280 oft übermenschlichen Fähigkeiten und besonderen Eigenschaften zeigen. Unabhängig vom Glauben an die tatsächliche Existenz solcher Wesen haben Menschen zweifellos ein großes Bedürfnis, die sie umgebende Natur, und darin besonders auch die vordergründig stummen Pflanzen, als Lebenspartner ernst zu nehmen, die nicht nur wie sie selber wachsen und sich im Laufe der Zeit physisch verändern, sondern ebenso auch eine Seele besitzen, die ihrem Leben Inhalt und Sinn verleiht. Diese Annahme gilt ganz besonders für das Verhältnis der Menschen zu den Bäumen. Wenn wir auf Spaziergängen beispielsweise immer wieder einen bestimmten Baum aufsuchen, zu dem wir uns hingezogen fühlen, dann setzt das die stillschweigende und meist nicht bewusst gewordene Annahme voraus: Dass man sich etwas »zu sagen« hat. Dazu ist es nicht unbedingt notwendig, im Baum einen menschengestaltigen Elf oder an dessen Wurzeln einen Gnom zu erkennen. Auch ohne solche Verbildlichungen ist die wesenhafte Ähnlichkeit spürbar, die eine Art freundschaftlicher Verbundenheit hervorbringt.

Auch in den Mythen der Völker in aller Welt nehmen Bäume als Wesen mit Persönlichkeit und Seele eine wichtige Rolle ein. Bemerkenswert ist die häufig vorkommende Verwandlung von Menschen, Naturwesen bzw. Göttern in Bäume und gelegentlich auch umgekehrt. Die Verwandlung der Wesensformen wird dabei scheinbar als selbstverständlich angesehen. Jacques Brosse (Mythologie der Bäume) beschreibt kenntnisreich zahlreiche Transformationsprozesse dieser Art: Der phrygische Gott Attis und seine Verwandlung in die Pinie, der phönizische Gott Adonis und seine Geburt aus der Myrrhe, Daphne und der Lorbeerbaum, die Nymphen Leuke (Silberpappel), Philyra (Linde) und 281 Pitys (Schwarzkiefer), die der Begehrlichkeit der Götter durch Verwandlung in Bäume entgehen, die lakonische Königstochter Karya, welche von ihrem Vater in einen Nussbaum verwandelt wird, die thrakische Prinzessin Phyllis, die aus Liebeskummer stirbt und von Hera, der Göttin der treuen Liebe, in einen Mandelbaum verwandelt wird, und viele weitere Beispiele. Die meist in komplizierte Handlungsfolgen eingebetteten Umwandlungen der mythischen Erzählungen offenbaren meist eine inhaltliche Verbindung zwischen dem Geschehen und der Bedeutung der betreffenden Bäume. In der Regel übernehmen die Protagonisten später die Rolle von Schutzgöttern der Baumarten bzw. werden bestimmte Arten einzelnen Göttern geweiht. Umgekehrt steht der Baum für einen bestimmten Inhalt, der im geschichtlichen Verlauf kulturabhängigen Wandlungen unterworfen sein kann. Auch außerhalb der antiken Mythenwelt verleihen Legenden und Erzählungen den Bäumen immer wieder menschliche Wesenszüge, die eine wechselseitige Zuordnung von (Charakter-)Eigenschaften nahe legen. Dabei spielt die Vorstellung einer gegenseitigen Übertragung und Nutzbarmachung von Energien eine Rolle.

Aus der jüngeren zeitgenössischen Literatur zur Symbolik der Bäume wird die Kultur der Kelten als besonders beliebtes historisches Beobachtungsfeld erkennbar. Zahlreiche Veröffentlichungen zum so genannten »Keltischen Baumkreis« setzen an belegten historischen Wahrheiten an, nämlich der unzweifelhaften Bedeutung bestimmter Baumarten für die spirituelle Praxis der Kelten. Die Konstruktion eines Zeitphasenmodells mit der Zuordnung bestimmter Baumarten und eines »Keltischen Baumkalenders «, wie ihn etwa Michael Vescoli (Der keltische Baumkalender) vorstellt, ist dagegen trotz kenntnisrei282 cher Erklärungsversuche nachweislich spekulativ. Wenn dennoch derartige Veröffentlichungen zahlreiche Leser finden, die in den von der Konstruktion abgeleiteten Horoskopen ein attraktives Mittel zur Spiegelung des eigenen Selbst sehen, so zeigt dies zum einen die Bereitschaft und das Bedürfnis, die eigene Persönlichkeit in anderen Naturwesen wahrzunehmen. Andererseits macht es deutlich, dass Menschen bestimmten Baumarten wesenhafte Züge zusprechen, die sie in sich selber wiederzufinden vermögen. In diesem Moment wird historische Wahrheit obsolet, entfalten die Analogien ihre symbolische Kraft. Die allgemeine Annahme einer wesenhaften Entsprechung zwischen Baum und Mensch wird durch den Bezug auf einzelne Baumarten zusätzlich bestärkt und durch den reichen historisch gewachsenen Fundus an Bedeutungen und Entsprechungen für individuelles Menschenleben nutzbar. So mag die esoterische Baumliteratur der Gegenwart dazu beitragen, die zumindest latent immer präsente Verbindung zum Wesen der Bäume stärker ins Bewusstsein zu rücken. Ohne diese Annahme einer Verbindung zwischen Bäumen und menschlichem Schicksal wäre im Übrigen auch die Erklärung kosmologischer Zusammenhänge und der Weltentstehung in den Schöpfungsmythen undenkbar gewesen, welche sich auf das Modell eines Weltenbaums stützen. Nur auf Grundlage eines kollektiv geteilten intuitiven Wissens konnte in diesen Modellen Fortbestand und Ursprung der Welt sowie die Rolle des Menschen im Weltganzen formuliert werden. Man denke etwa an die germanische Weltenesche Yggdrasil oder den neunästigen Weltenbaum der Jakuten Nordostsibiriens.

Während mythische Welterklärungen antiker Denkart, naturmystische Auffassungen späterer Kulturen und esoterische Betrachtungen der Wesenheiten in der Natur sich zu einem historischen Wissenspool ergänzen, der je nach Interesse recht unterschiedlich bewusst ist und entsprechend nur selektive Auswirkungen auf modernes Denken haben kann, ist das Bewusstsein global-ökologischer Zusammenhänge zumindest in den Industrienationen ein Kind unserer Zeit und durch die Thematisierung in den Massenmedien auch weit verbreiteter. Auch hierin können wir eine Bestätigung der immer schon gültigen Gewissheit erkennen, dass alles Leben auf der Welt in vielfältigen Formen und auf verschiedenen Ebenen miteinander zusammenhängt. Spätestens seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts und der Debatte um das »Baumsterben« ist die ökologische Bedeutung der Bäume im öffentlichen Diskurs verankert. Seitdem ist es möglich, auch rational, quasi wissenschaftlich begründet, zu erkennen, dass alles Leben auf der Erde letztlich von den Bäumen abhängig ist. Dies ist weniger in der Weise gemeint, die Gertrud Höhler in ihrem Text »Der Baum des Lebens« (in dies.: Die Bäume des Lebens) auf frühe orientalische Kulturen bezieht, in denen die Dattelpalme im wörtlichen Sinne Lebensmittel war, weil sie gleichermaßen Nahrung, Baustoff und (Brenn-)Energie lieferte. In den meisten modernen Gesellschaften ist diese extreme Abhängigkeit aus denkbaren Gründen nicht mehr zu beobachten. Alle Lebewesen aber, wo auch immer auf der Erde sie sich bewegen, benötigen Sauerstoff zum Atmen. Das von den Chlorophyll tragenden Pflanzen, allen voran den Bäumen, durch Umwandlung des Kohlendioxids produzierte und ausgestoßene Gas macht das Pulsieren des Lebens in der gesamten übrigen Natur erst 284 möglich, ist die Grundvoraussetzung aller Lebensstufen und schafft eine Atmosphäre, welche die Erde so einzigartig unter allen bisher bekannten Himmelskörpern des Universums macht. Ein deutlicheres Argument für die unbedingt wechselseitige Lebenspartnerschaft zwischen Menschen und Bäumen kann man sich gar nicht vorstellen. Mit dem Bewusstsein dieser ökologischen Zusammenhänge als Grundlage für den Fortbestand des Lebens auf der Erde wächst aber auch die moralische Verpflichtung, Sauerstoff produzierende Pflanzen, vor allem die Bäume, als gleichberechtigte Wesenheiten der Natur zu achten, ihren Beitrag zum Funktionieren des Ganzen zu respektieren. Daran schließt sich die politische Forderung an, in praktischer Form alles Mögliche zu tun, aus menschengemachten ökologischen Sünden der letzten Jahrhunderte zu lernen und das Prinzip der Nachhaltigkeit zum Leitgedanken unseres Verhältnisses zur Gesamtheit natürlichen Lebens zu machen. In der ökologischen Debatte gewinnt somit die Selbstbetrachtung des Menschen in den Bäumen eine zusätzliche kommunikative, moralische und politische Dimension.

Archetyp und Spiegel der Seele

Gestalt- und wesenhafte Verwandtschaften zwischen Menschen und Bäumen markieren wichtige Bestandteile des Lebensbaumbegriffs. Bäume können aber auch Einfluss auf die inneren Handlungen der Menschen haben und sie bei den Prozessen der Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Der Theologe und Psychotherapeut Helmut Hark (Traumbild Baum. Vom Wurzelgrund der Seele) beschäftigt sich im Rahmen seiner therapeutischen Arbeit intensiv mit der Traum285 analyse und dabei besonders mit den Baum-Träumen. Eine von ihm durchgeführte Befragung von über 500 psychologisch interessierten Menschen hat ergeben, dass die meisten eine seelische Beziehung zwischen uns Menschen und den Bäumen erleben. Vor allem Frauen verinnerlichen Bäume in ihren Träumen und machen sie so zu Lebenssymbolen. Diese symbolische Kraft kann für therapeutische Zwecke genutzt werden, denn sie kann Anstöße für Selbsterkenntnis, Selbstverwirklichung oder allgemein für notwendige Veränderungsprozesse sein. Die Deutung von Baum-Träumen kann somit z. B. Kraft und Lebensmut vermitteln. Sie sagt aber vor allem etwas über die grundlegende, kultur- und zeitunabhängige Beziehung der Menschen zu den Bäumen, über ihre Relevanz für die seelische Entwicklung.

Neben der Analyse von Baum-Träumen können auch psychologische Baum- Tests, bei denen ein spontanes Baum-Bild gezeichnet oder gemalt wird, Aufschluss über die körperliche und seelische Verfassung geben. Die Träumenden oder Malenden projizieren dabei häufig Menschliches in Bäume. Die Eigenschaften des beobachteten oder geträumten Baumes entsprechen den persönlichen Befindlichkeiten oder auch einem angestrebten Zustand. Diese Gleichsetzung ist möglich, weil der Baum eines der ursprünglichsten Symbole des menschlichen Selbst darstellt, womit nicht nur die körperliche Gestalt, sondern vor allem auch die individuelle Seele gemeint ist, welche sich im Körperlichen ausdrückt. Die Erinnerung realer Bäume der eigenen (vergangenen) Lebenswelt ist in solchen Baumträumen häufig, aber kein Muss. Nicht immer spiegeln die Traumbäume Eindrücke vergangener Erfahrungen im äußeren Leben wieder, die zur Darstellung eines Gegenwartproblems verwendet werden. Die Formulierung des aktuellen Problems im Baum- Symbol ist nur eine Möglichkeit, Baumträume zu interpretieren. In anderen Fällen kann der Traumbaum auch auf Entwicklungschancen hinweisen und Anstöße geben, die Seele weiter zu entwickeln und persönlich zu wachsen. Immer dann nämlich, wenn eingefahrene Wege in eine Sackgasse geführt haben und in Krisenzeiten ein Richtungswechsel angesagt ist, um eine neue Identität auszubilden. Der Baum mit seiner Eigenschaft, stetig zu wachsen und sich immer wieder zu erneuern, kann hierfür symbolisch Mut und Hilfe geben. In anderen Baumträumen wiederum steht der Baum kompensatorisch für einseitige Orientierungen des bewussten Lebens, deren Gegenpol das Unbewusste selber schafft, auf dass die Persönlichkeit zu einer souveränen Ganzheit zurückfindet.

Unabhängig von der konkreten Erfahrung und manchmal diese ergänzend wirkt der Baum als abstraktes Ursymbol, dessen Bedeutung fraglos und unmittelbar mit dem Bild des Baums verbunden zu sein scheint. Gemeint ist eine unvermittelte, quasi unreflektierte Verknüpfung zwischen Bild und Bedeutung oder besser zwischen Bild und Emotion, die allen kulturell tradierten Inhalten vorausgeht. Solche Verknüpfungen, welche persönliche Erfahrung übersteigen, können mit C. G. Jung als Archetypen gefasst werden. Archetypische Traumbäume unterscheiden sich von rein persönlichen Baum-Symbolen insofern, als die emotionale Beteiligung ungleich stärker ist und sie eine bedingungslose Anerkennung und Folgeleistung verlangen, die über das eigene Leben und seelische Erleben hinausgehen. In dieser Rolle wird der Baum zum abstrakten Lebensbaum, der nicht für das individuelle Leben direkt steht, sondern für Merkmale des Lebens schlechthin, deren Bewusstwerdung auch je 287 persönliche Interpretationen als Grundlage für Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung möglich macht. Selbstverständlich können in Träumen auch andere Urbilder vorkommen, in denen man sich aufgehoben fühlen kann, sofern man sie als solche erkennt. Etwa als Elemente der mythischen Erzählung vergangener Kulturen oder gegenwärtiger Völker, welche sich sehr häufig auf archetypische Symbolsysteme stützten. Zu unterscheiden sind die Urbilder von tradierten Symbolwelten, die auf kulturelle und religiöse Überlieferungen zurückgehen und als Elemente des erfahrenen oder erlernten Wissensschatzes historisch und geografisch variieren können. Auch solche Elemente freilich können für die Interpretation von Baum-Träumen relevant sein, wenn z. B. nicht irgendein Baum, sondern eine Eiche imaginiert wird, die etwa im europäischen Raum mit den Attributen »Kraft« und »Stärke« in Verbindung gebracht wird. In ähnlicher Weise können kulturabhängig fast jeder Art bestimmte vermenschlichte Merkmale zugesprochen werden. Der Archetypus aber, der im Traum, wie auch in der realen Begegnung mit Bäumen, alles weitere Erleben und Deuten untermauert und färbt, markiert eine abstrakte Größe. In ihm erscheinen Bäume automatisch als Boten der natürlichen Lebenskraft, die Menschen in sich selber wieder finden. Diese verbildlichte Lebenskraft vermittelt die Ahnung und Empfindung eines ganzheitlichen Lebens, das Teile der im Wachzustand häufig getrennt betrachteten Seinsebenen integriert. Das Symbol wird als Ganzes wahrgenommen, nur durch theoretische Anstrengung können wir nachträglich Unterscheidungen treffen, die die archetypische Symbolkraft der Bäume erklären mögen. Zum Beispiel ausgehend von der Architektur der Bäume: Die Äste stehen für die bewusste Persönlichkeit mit verzweigten, wachsenden und in den (sozialen) Raum greifenden Ausdrucksmöglichkeiten. Der Stamm steht für das Körper- und Lebensgefühl, die Wurzeln für die verborgenen und unbewussten Tiefen unseres Lebens und der Seele. Und alles bildet eine Einheit, die von unten nach oben und von oben nach unten fließt. Vom Bereich des Unbewussten mit seinen Energiequellen zum geistigen Bewusstsein mit seiner kreativen Tendenz. Und vom Bereich der spirituellen Quelle allen Seins zur je konkreten Ausformung individueller Leben. Diese Sicht wird von dem psychotherapeutisch arbeitenden amerikanischen Autor Chris Hoffman (Lebensbaum und Lebenskreis) geteilt. Auch er erkennt im Lebensbaum ein linear ausgerichtetes Ursymbol zur Beschreibung persönlicher Entwicklungsprozesse und zur Artikulation des Selbst. Der Lebensbaum symbolisiert danach in allen großen Religionen und Welterklärungen der Vergangenheit und Gegenwart diejenigen Elemente unserer Entwicklung, die einmal in die Tiefe der Seele hinab und zum anderen hinauf in Richtung spiritueller Transzendenz reichen. Er steht in einem symbiotischen Verhältnis zum Lebenskreis, der die horizontal ausgerichtete soziale Komponente bezeichnet. Beide zusammen genommen liefern im Übrigen ein hervorragendes theoretisches Rahmenmodell für interdisziplinäre Studien, die sich der Untersuchung des Zusammenhangs und der Wechselwirkungen von Seele, Körper, Geist und höherem Selbst widmen.

Dass Bäume die Seele rühren und in vielen Lebensbereichen einen Spiegel innerer Befindlichkeiten darstellen, sehen wir in den Baum-Träumen besonders deutlich. Aber auch jede Begegnung mit realen Bäumen oder kulturell überformten Symbolbäumen (Maibaum, Weih289 nachtsbaum, Wunschbaum) spricht, vermittelt über archetypische Kräfte, unser Innerstes an. Der wie auch immer geartete Austausch mit Bäumen ist deshalb für die Selbstbeobachtung des Menschen von großer Bedeutung. Er ist, wie die Kommunikation mit anderen Menschen, ein wirksamer Weg, Verborgenes hervorzuholen, es im Äußeren näher zu betrachten und möglicherweise zu transformieren oder fortzuentwickeln. Dieser Erkenntnisumweg über das starke, in einer verbindenden Urkraft verwurzelte Symbolsystem Baum hilft uns, unseren Lebensweg auf ein Ganz-Werden hin auszurichten.

© Bernhard Lux

 

Unter dem Titel "Bäume als Spiegel. Über ein Lebenssymbol"
wurde dieser Text veröffentlicht in:
Diktynna. Jahrbuch für Natur und Mythos 2009

 

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